Samstag, 16. August 2014

Ihlenberg: Analysen & Konflikte




Wie krebskrank machen Mülldeponien?


Exemplarische politische Konflikte und wissenschaftliche Analysen: die Deponie Ihlenberg bei Lübeck




             Karikatur der Mülldeponie (Quelle: Bürgerinitiative "Stoppt die Deponie Schönberg!")




Westdevisen durch Giftmülllagerung


Auch wenn es linke Kritiker immer wieder gern unterstellen, gibt es für eine unsachgemäße Lagerung von Giftstoffen nicht nur ein einziges verteufeltes Motiv: die Profitgier privatwirtschaftlicher Unternehmen, die Giftmüll ohne Rücksicht auf Vorschriften und gesundheitliche Folgen so transportieren und lagern, dass die Kosten möglichst tief im Keller liegen.

Es kann auch andere Gründe geben, die sich allerdings nicht so gut zu einer umfassenden Kapitalismuskritik eigenen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die wechselvolle Geschichte der Deponie Ihlenberg, die in den fast schon vergessenen DDR-Zeiten noch offiziell VEB Deponie Schönberg oder im Westen kurz Deponie Schönberg hieß.




                Deponie Ihlenberg (Quelle: Bürgerinitiative "Stoppt die Deponie Schönberg!")



Diese Deponie, die häufig als größte Sondermülldeponie Europas bezeichnet wird, liegt am Hang des Ihlenberges zwischen der Stadt Schönberg und der Gemeinde Selmsdorf im heutigen Landkreis Nordwestmecklenburg. In der DDR-Zeit lag sie damit innerhalb des Sperrgebietes an der innerdeutschen Grenze.


Sie ist vom Zentrum Lübecks im Westen ca. 14 km entfernt, von der nächsten Wohnbebauung in Selmsdorf, zu dem sie verwaltungsmäßig gehört, hingegen nur 200 m.

Ihre ursprüngliche Genehmigung liegt im Dunkeln, da sie anscheinend nicht konform zum gültigen DDR-Recht erfolgte. So gibt es einen Beschluss des Politbüros der SED vom 30. Januar 1979, der von "Müllhändlern und Behörden in den den Altbundesländern als Genehmigung bewertet" wird. Allerdings hätte die Einrichtung und Inbetriebnahme nicht von ganz oben angeordnet werden dürfen, sondern hätte entsprechend dem Landeskulturgesetz erfolgen müssen. Diese Genehmigung scheint es jedoch nicht zu geben.

Der Betrieb am Ihlenberg erfolgte sogar bereits seit 1978 mit der Verbringung von Bauschutt (Hoffmann, S. 14). Damals war die Deponie zunächst Teil des VEB Grevesmühlen und wurde erst 1983 mit der Gründung des VEB Deponie Schönberg selbständig. In dieser Zeit wurde nach und nach normaler Hausmüll verstärkt durch Sondermüll ergänzt. 

Die Deponie Schönberg haben die Machthaber in der DDR-Zeit vor allem für die Devisenbeschaffung eingesetzt, was neben einer geringen Überwachung durch Dumpingpreise gelang. So lagen die Abnahmepreise für die europäische Abfallwirtschaft deutlich unten denen von Müllverbrennungsanlagen und Untertagedeponien in den Heimatländern, sodass sich ein Mülltourismus nach Schönberg lohnte. 

Heute will die Mehrheit der Selmsdorfer, wenn man den Kommunalwahlergebnissen vertraut, diese belastete Vergangenheit vergessen und sich als Vorort Lübecks sehen. Selmsdorf wirbt daher auf seiner Webseite mit dem Slogan "eine aufstrebende Gemeinde zum Wohlfühlen!" für sich.



Das Krebsgutachten der Uni Greifswald von 2008


Nach der Wende konnten die Anwohner offen über ihre Erfahrungen mit dem Devisenbringer Sondermülldeponie berichten und auch eine Bürgerinitiative gründen. Allerdings formierte sich der Widerstand erst langsam, auch wenn das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" unter dem Titel "Ausverkauf an den Klassenfeind" Anfang 1990 berichtete, dass in den ersten Jahren "große Mengen auch hochkonzentrierter Gift-Abfälle, etwa aus dem dioxinträchtigen Hamburger Insektizid-Werk der Firma Boehringer, unkontrolliert auf die Kippe" gelangt seien. 

Auslöser für die Gründung einer Bürgerinitiative waren im Jahr 2000 Planungen für eine Müllverbrennungsanlage, auf die viele Anwohner mit einem deutlichen "Nicht aber mit uns!" reagierten. So entstand im Herbst 2000 die Bürgerinitiative "Stoppt die Deponie Schönberg!", die bereits im Februar 2001 über 50 Mitglieder zählte und sich als gemeinnütziger Verein institutionalisierte.

   
                         Logo (Quelle: Bürgerinitiative "Stoppt die Deponie Schönberg!")


Doch welche konkreten Auswirkungen hatten diese Belastungen auf Umwelt und Menschen ? Nach den Angaben der Bürgerinitiative klagten die Anwohner damals über "Deponiegerüche, die zeitweise mehr einem unkontrollierten Gasausbruch gleichen, über Atembeschwerden, Augentränen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen."

Auch sollten die Tumorarten, die in einen Zusammenhang mit Umwelteinflüssen gebracht werden, "in Schönberg eine höhere Rate" aufweisen. Dazu nennt die Webseite der Bürgerinitiative sogar konkrete Zahlen, wenn die statistische Wahrscheinlichkeit, "an Leberkrebs zu erkranken, der u.a. durch Vinylchlorid... ausgelöst wird, in Schönberg 300 % höher als im Kreis oder Landesdurchschnitt" liegen soll und auch die "Wahrscheinlichkeit an Hodenkrebs zu erkranken ebenfalls deutlich erhöht" sein soll. Dazu wird allerdings als Quelle nur sehr allgemein das Gemeinsame Krebsregister (GKR) in Berlin angegeben.

Auch wenn, wie die Bürgerinitiative selbst einräumt, die Fallzahlen gering und damit die Aussagekraft eingeschränkt ist, hielt man es für unerlässlich, "diesen Indizien nachzugehen".


Der Deponiebetreiber wählte jedoch nicht die Bewohner, sondern die Mitarbeiter der Deponie für eine Krebsstudie, über die bereits zuvor Krankheitsinformationen gesammelt worden waren. Danach lag eine Liste mit Tumorerkrankungen unter Deponiemitarbeitern vor, wonach im Juli 2003 18 Mitarbeiter an Krebs erkrankt waren, von denen 8 verstorben waren. Die Tumoren betrafen dabei in 12 Fällen "die Drüsen", was u.a. "durch Lösungsmittel ausgelöst" sein könnte.

Diese Liste mit fünf Fällen von Lymphdrüsenkrebs hat die Bürgerinitiative im Rahmen ihrer Tätigkeit im Deponiebeirat Ende März 2002 dem Umweltministerium zur Prüfung übergeben. Wie die Behörde diese Liste konkret  ausgewertet hat, wurde der Bürgerinitiative nicht mitgeteilt. Sie geht aber davon aus, dass "sie dazu beigetragen haben, dass eine Untersuchung eingeleitet worden ist."

Aufgrund des hohen Anteils von Lymphome an den Erkrankungen nahm die Bürgerinitiative an, dass für das erhöhte Krebsrisiko Chemikalien mitverantwortlich waren, da "der häufige Umgang mit bestimmten Unkrautvernichtungsmitteln (2,4-Phenoxyverbindungen), Insektiziden auf der Basis organischer Phosphorsäureester, Pilzvernichtungsmitteln und einigen organischen Lösungsmitteln (Benzol, Styrol, Trichloräthylen) .. mit einem erhöhten Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome verbunden" ist.


So erhielt 2005 der Greifswalder Prof. Dr. Hoffmann von der Gesellschaft für 
Abfallwirtschaft und Altlasten Mecklenburg-Vorpommern GmbH (GAA)  den
Auftrag zu einer "Analyse der Krebsinizdenz /-mortalität bei den Beschftigten der Deponie Ihlenberg nach Arbeitsbereichen". Der Auftraggeber hat sogar inzwischen seinen Sitz direkt an der Deponie in der Gemeinde Selmsdorf, um damit vermutlich ihre Sicherheit zu dokumentieren.


Die Untersuchung musste mit einem erheblichen Handicap fertig werden, das in der sehr geringen Fallzahl zu sehen ist. Insgesamt waren bis zum Stichtag am 31.12.2008 548 Personen jemals auf der Deponie beschäftigt gewesen. Davon konnte in über 99 % der Angeschrieben der Vitalstatus erfasst werden. Insgesamt waren von den Beschäftigten 33 verstorben (Hoffmann, S. 3)

Für elf dieser Todesfälle wurde eine maligne Krebserkrankungen als Grundleiden festgestellt, das zum Tode geführt hat. (Hoffmann, S. 24)
Ergäzend wurden aufgrund der Meldungen an das GRK und das Krebsregister Schleswig-Holstein für den Zeitraum 1975 - 2008 23 Krebsneuerkrankungen ermittelt, von den 21 in die Analyse einbezogen wurden, da in zwei Fällen die Diagnose bereits vor dem Beginn der Beschäftigung in der Deponie lag. (Hoffmann, S. 46)


Krebsinzidenz der Deponie-Beschäftigten im Zeitraum 1983 - 2006 im Vergleich zum Kreis Nordwestmecklenburg
Arbeitsbereich
Fälle
SIR
Abfallannahme, Labor, Wach- und Einlasskontrolle
3
1,2
Deponierung und Konditionierung
6
1,3
Ausbildung und Lehrlinge
1
8,5
Verwaltung und Betriebsküche
7
1,8
Werkstatt
4
1,5
Insgesamt
20
1,4
Quelle: Hoffmann, S. 56.


Neben dem Bezugsraum Nordwestmecklenburg hat das Gutachten in einer Sensitivitätsnalyse (Hoffmann, S. 57ff.) auch das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland als Vergleichsregionen betrachtet, die insgesamt ein höhere Krebsrisiko aufweisen als der Landkreis. Daher liegen die standardisierten Inzidenzraten hier im Durchschnitt niedriger.

Einige Ausreißer unter den Ergebnisse müssen als offensichtliche Auswirkung der kleinen Fallzahl etwa bei den Lehrlingen erheblich relativiert werden. Das gilt auch für die teilweise wenig plausiblen Ergebnisse für die Arbeitsbereiche, die durch Zufallskomponenten hervorgerufen worden sein können. So fallen die "fehlenden" Erkrankungen in den Bereichen "Gaserfassung und Sickerwasserbehandlung sowie "Sortier- und Restabfallbehndlungsanlage" auf, aber auch der kaum erklärbar hohe Wert für die "Verwaltung und Betriebsküche", da hier eine geringe Exposition gegenüber karzerogenen Stoffen erwartet wurde. (Hoffmann, S. 63).

Es ist daher sachlich nicht korrekt und taktisch unklug, wenn angeblich in dieser Studie "eine um 80 % erhöhte Krebsgefahr für die Mitarbeiter festgestellt" wurde. Das hat daher auch zu einer entsprechenden Kritik der IAG an den Aussagen der Bürgerinitiative geführt und damit ihre Glaubwürdigkeit insgesamt infrage gestellt.

Mit einem Hinweis auf die geringe Fallzahl kann man von einem um 30 % bis 40 % erhöhten Krebsrisiko ausgehen, das mit der Arbeit auf der Deponie verbunden ist. Das sind die Folgerungen aus dem Durchschnittswert von SIR = 1,4 und dem für den zentralen Bereich der "Deponierung und Konditionierung". Die Kennziffern für diese Aussage sind jedoch nicht signifikant, da sie sich nur auf 20 Fälle beziehen.

Das Gutachten selbst spricht daher in seiner Ergebniszusammenfassung von einem "moderat" erhöhten Krebsrisiko der Deponiebeschäftigten. (Hoffmann, S. 10)

Das ist für die Mitarbeiter ein tendenziell positives Ergebnis, für statistische Auswertungen, die noch eine Differenzierung nach Lokalisationen und anderen Aspekten vornehmen, jedoch ein unüberwindbares Hindernis. Die sehr begrenzte informativen Ergebnisse können daher nur zu der Forderung nach einer Fortsetzung der Untersuchung führen, sodass sich im Laufe der Jahre die Fallzahl erhöht - ganz unabhängig davon, ob dabei die Beschäftigung auf der Deponie eine Rolle spielt oder nicht.




Die Lübecker Krebsuntersuchung von 2009




   Quelle: Pritzkuleit/ Katalinic, S. 17.

Als Reaktion auf die Greifswalder Studie zum Krebsrisiko bei den Mitarbeitern der Mülldeponie Ihlenberg befasste sich die Lübecker Bürgerschaft auf ihrer Sitzung am 27.11.2008 mit der möglichen Krebsgefahr und beschloss, eine
"Untersuchung 
der Krebserkrankungen in Lübeck" in Auftrag zu geben.

Da sich die Daten des  epidemiologischen Krebsregisters von Schleswig-Holstein nicht wie in Bremen für Stadt- oder Ortsteile auswerten lassen, musste man ein Material verwenden, dass nur eine Untergliederung nach Postleitzahlbezirken erlaubt. Auf Wunsch der Bürgerschaft sollte dabei ein besonderes Augenmerk auf die  Gebiete Schlutup, Kücknitz und Travemünde gelegt werden, die der Mülldeponie am nächsten gelegen sind. 

Die Auswertung von Daten des Krebsregisters Schleswig-Holstein sollte damit die zentrale Hypothese prüfen, "dass die zur Deponie nächstgelegenen Stadtgebiete Schlutup, Kücknitz und Travemünde bei einem kausalen Einfluss der Deponie auf Krebs im Vergleich zu anderen Lübecker Stadtteilen vermehrt Krebserkrankungen aufweisen müssten." (Pritzkuleit/ Katalinic, S. 5)


Aufgrund der Materialsituation wurden so die die Erkrankungshäufigkeiten für den Diagnosezeitraum 1998 bis 2006 in elf Postleitzahlengebieten ausgewertet.(Pritzkuleit/ Katalinic, S. 6) Dabei haben die Wissenschaftler die Krebslokalisationen, für die in der internationalen Fachliteratur ein Zusammenhang zwischen Deponien und Krebserkrankungen gezeigt werden konnte, besonders herausgestellt.

Umweltassoziierte Tumorerkrankungen

Krebslokalisation Kurzbezeichnung
Klassifikation
Leukämien und Lymphome Leukämie
C81 - C96
Tumore an Speiseröhre, Magen, Darm und Bauchspeicheldrüse Krebs der Verdauungsorgane
C15 - C26
Tumore der Leber und der intraheptischen Gallengänge Leberkrebs
C22
Tumore der Bauchspeicheldrüse Bauchspeicheldrüsenkrebs
C25
Tumore der Luftröhre, Bronchien und der Lunge Lungenkrebs
C33 - C34
Quelle: Pritzkuleit/ Katalinic , S. 12.

Nach der Studie wies die Krebsindizidenz in Lübeck insgesamt eine geringfügige Konzentration in der Innenstadt aus, wo die Häufigkeit etwa 7 % über den Lübecker Durchschnitt lag.



                                               Quelle: Pritzkuleit/ Katalinic, S. 23.


Die Ergebnisse der Auswertung der Krebsregisterdaten für die interessierenden Lokalisationen und die betrachteten elf Postleitzahlbezirke sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt.



Krebsneuerkrankungen (SIR) in den Lübecker Postleitzahlbezirken 1998 - 2006 

PLZ Bereich
Insge-samt 
Leukä-
mie
Verdau-
ung
Leber
Bauchspei-cheldrüse
Lunge
Brust
Prostata
23552 Innenstadt
1,07
1,04
1,16
1,62
1,14
1,21
0,92
0,85
23554 St. Lorenz Nord
1,03
1,04
1,08
0,94
1,04
1,17
0,95
0,95
23556 St. Lorenz Nord/ Buntekuh
0,99
1,02
1,02
1,43
0,86
0,98
1,11
0,93
23558 St. Lorenz Süd
1,03
1,07
1,05
1,02
0,98
1,22
0,99
0,89
23560 Moisling
0,96
1,00
0,96
0,72
0,87
1,01
0,96
0,92
23562 St. Jürgen
1,00
0,88
1,01
0,90
1,17
0,90
1,12
1,11
23564 St. Jürgen/ St. Gertrud
1,03
0,95
0,99
0,86
0,88
1,04
0,96
1,24
23566 St. Gertrud
0,96
1,03
0,90
0,89
0,93
0,71
1,12
1,16
23568 Schlutup
1,01
1,11
0,98
0,88
1,10
0,98
0,96
1,07
23569 Kücknitz
1,01
1,04
0,97
1,19
1,02
1,13
0,87
0,81
23570 Travemünde
0,96
0,84
0,98
0,90
1,08
0,78
1,01
1,00
Anmerkung: Ein Standardisiertes Inzidenzratio (SIR) liegt bei SIR < 1, wenn das Risiko niedirger ist als als in Lübeck insgesamt.

Quelle: Pritzkuleit/ Katalinic, S. 24 ff.


Für die Krebsforscher unterscheidet sich nach diesen Ergebnissen "das Auftreten der untersuchten Krebsformen in Lübeck ... zwischen den Postleitzahlengebieten nur geringfügig." (Pritzkuleit/ Katalinic, S. 46 )
 Für sie verteilen sich die berücksichtigten Krebsneuerkrankungen von 1998 bis 2006 relativ gleichmäßig über das Lübecker Stadtgebiet. Daher können sie auch keine "statistisch signifikante regionale Häufungen in den Stadtteilen Schlutup, Kücknitz und Travemünde" (Ebenda) erkennen. 

Sogar wenn man die statistische Signifikanz außer Acht ließe, ergeben sich für sie "keine durchgängigen Muster, die für eine erhöhte Krebslast in den Stadtteilen Schlutup,Kücknitz und Travemünde sprechen. Dies gilt insbesondere für die vor allem interessierende Gruppe der Tumoren, für die in der Fachliteratur Zusammenhänge zwischen Mülldeponien und Krebserkrankungen beschrieben sind. Für „Leukämien und Lymphome“, „Verdauungsorgane insgesamt“, „Leber“ und  „Bauchspeicheldrüse“ sind nur geringe Schwankungen zu erkennen. Statistisch relevante räumliche Unterschiede innerhalb von Lübeck liegen hier nicht vor.(S. 46)

Nach diesem Urteil bestehen damit keine überdurchschnittlichen Konzentrationen von Krebsfällen in den Lübecker Postleitzahlbezirken, die der Deponie Ihlenberg benachbart sind, was karzinogene Wirkungen, die von dort ausgehen, ausschließt.

Insgesamt sind damit, wenn man die Krebsneuerkrankungen betrachtet, die Unterschiede zwischen den Stadtteilen erheblich niedriger als etwa in Bremen. Das dürfte weitgehend auf methodische Gründe zurückzuführen sein. So ist die Zahl der Gebietseinheiten, auch wenn man die unterschiedliche Einwohnerzahl beider Städte berücksichtigt, niedriger als in der Hansestadt an der Weser. Allein dadurch dürften die Untersuchungsgebiete in sich bereits weniger homogen sein. 

Dieser Effekt wird noch durch die Wahl von Postleitzahlbezirken verstärkt, da auf diese Weise nicht auf historisch gewachsene ehemalige Gemeinden und traditionelle Stadtteile zurückgegriffen wird, sondern auf Gebiete, die sich nach postalischen Gesichtspunkten relativ gut für eine Zusammenfassung eignen. Dabei spielen die bestehenden Verkehrswegen meist eine große Rolle. Mit anderen Worten sind daher die betrachteten Teilräume in sich wenig homogen und teilweise unter ökologischen und sozialen Faktoren, wie sie beim Krebsgeschehen eine Rolle spielen, eher zufällig entstandene Einheiten. Das dürfte die recht durchschnittlichen Krebsrisiken zumindest teilweise erklären.
  

Krebsneuerkrankungen und Krebstodesfälle im Kreis Nordwestmecklenburg 2007-2009


                                    Titelseite von "Krebs in Mecklenburg-Vorpommern"

Eine notwendige Ergänzung zu dieser problematischen Auswertung der Krebsregisterzahlen aus Schleswig-Holstein sind Analysen der Daten aus Mecklenburg-Vorpommern, die beim Gemeinsamen Krebsregister (GKR) für die neuen Bundesländer vorliegen, das in Berlin eine entsprechende Einrichtung aus DDR-Zeiten fortführt. 

Jedoch ist hier kein unmittelbarer Zugriff auf die Krebsneuerkrankungen und -sterbefälle für einen längeren Zeitraum und in einer kleinräumigen Differenzierung möglich, wie das bei anderen epidemiologischen Krebsregistern in Deutschland bereits der Falls ist. Öffentlich zugänglich sind vielmehr nur die Krebsdaten für den Zeitraum 2007-9 für die inzwischen sehr großen mecklenburgischen Landkreise.

Daher ist es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, von diesen Zahlen auf mögliche Auswirkungen der Deponie Ihlenberg in ihrer unmittelbaren Umgebung zu schließen, also in der Gemeinde Selmsdorf und der Stadt Schönberg.

Trotzdem wurden die publizierten Daten in der folgenden Tabelle zusammengestellt, um auf diese Problematik aufmerksam zu machen. Bereits prinzipiell sollte jedoch klar sein, dass aus den Kreisdaten nicht auf eine denkbare Erhöhung des Krebsrisikos durch de Mülldeponie geschlossen werden kann, da die Auswirkungen, wenn es sie gibt, räumlich begrenzt sein dürften. 


Ausgewählte Krebsneuerkrankungen im Landkreis Nordwestmecklenburg 2007 - 2009 (jeweils standardisierte Inzidenzziffern)




Krebslokalisation
Nordwestmecklenburg
Mecklenburg-Vorpommern
Leukämien/ Lymphome


Non-Hodgkin-Lymphome
11,8
12,2
Leukämien
9,9
10,0
Krebs der Verdauungsorgane


Speiseröhre
4,0
5,8
Magen
15,1
15,5
Darm
38,5
45,2
Bauchspeicheldrüsenkrebs
11,5
11,9
Leberkrebs
6,3
7,0
Lungenkrebs
43,4
44,8
Brust
43,4
53,0
Prostata
78,8
118,6
Quelle: GKR, Kreisdatenblatt.


Der Kreis Nordwestmecklenburg weist für Mecklenburg-Vorpommern insgesamt ein unterdurchschnittliches Krebsrisiko auf, ja, der Kreis steht sogar mit 336,6 Fällen auf 100.000 Einwohner auf dem letzten Platz bei den standardisierten Werten für Neuerkrankungen unter den 18 Kreisen Mecklenburg-Vorpommerns. Das zeigt sich sehr deutlich, wenn man etwa die Werte für die besonders häufigen Krebserkrankungen "Brust" bei Frauen und  Prostata" bei Männern des Kreises mit denen des Landes vergleicht.

Dieses geringere Risiko in Nordwestmecklenburg scheint hingegen bei einigen Lokalisationen nicht so ausgeprägt zu sein. So weichen die Kennziffern etwa für Leukämien und Lymphome sowie für Lungenkrebs, die in der Lübecker Studie vor allem mit der Deponie in Verbindung gebracht wurden, kaum von den Landeswerten ab. Bei diesen Erkrankungen ist der Landkreis also nicht der Teil des Landes, der von Krebs nicht so betroffen ist wie der Durchschnitt. 

Diese Unterschiede sind teilweise erheblich; denn die Neuerkrankungen an der Protata liegen um ein Drittel unter dem Landesdurchschnitt. Bei den Leukämien, Non-Hodgkin-Lymphomen und bei Lungenkrebs sind es hingegen nicht über 33 %, sondern nur 1 % bis 3 % weniger als im Land insgesamt. Man kann hier also von deutlich unterschiedlichen Relationen bei den verschiedenen Lokalisationen sprechen, die einen Bezug zur Deponie haben können.

Allerdings sind das nur oberflächliche Tendenzen, die eine sorgfältige Klärung durch kleinräumige Daten erfordern, da die Einwohnerzahlen von Selmsdorf und Schönberg kaum ins Gewicht fallen. Notwendig wäre auch eine weitergehende räumliche Analyse des Landkreises, falls in unmittelbarer Nähe der Deponie erhöhte Werte zu finden sind. Hier müsste dann ermittelt werden, wie weit sich dieser Bereich erstreckt, damit sich die Gefahren durch ein möglicherweise erhöhtes Krebsrisiko besser abschätzen lassen



Asbest und Krebs



                                    Palast der Republik in Ostberlin (Quelle: wikipedia)


Eine große Herausforderung entstand für die Deponien generell und besonders die in Ihlenberg mit einer Neueinschätzung von Asbest. Diese natürlich vorkommenden, faserförmigen Silikat-Minerale galten lange Zeit aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften als „Wunderfasern“, da sie eine große Festigkeit besitzen, hitze- und säurebeständig sind, hervorragend dämmen und in Faserform zu Garnen versponnen und anschließend verwebt werden können. 

Daher wurde Asbest in großen Mengen in vielen Wirtschaftszweigen eingesetzt, so vor allem im Schiffbau, als Dämmstoff vorwiegend bei der Herstellung von Baumaterialien und bei der Produktion von Autoreifen.

Das änderte sich jedoch zunächst allmählich und dann schlagartig, als nach und nach gesundheitliche Belastungen durch Asbest bekannt wurden, die schließlich zu einem generellen Verbot für die Verwendung von Asbest führten. 

Damit ergab sich gleichzeitig die Notwendigkeit, den vorhandenen Asbest, der so vielfältig verwendet worden war, möglichst komplikationsfrei zu beseitigen. Dazu waren entsprechend gesicherte Deponien notwendig, da es in diesem Fall keinen anderen Weg gab, um den gefährlichen Stoff beispielsweise durch eine chemische Behandlung zu entsorgen.

In einigen Fällen wurde sogar der verbaute Asbest beseitigt, indem man die Gebäude abriss. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Palast der Republik, also das ehemals wichtige Kulturgebäude der DDR mit der Volkskammer am früheren Marx-Engels-Platz und heutigen Schlossplatz in Berlin. Dieses Gebäude mit Symbolwirkung wurde ab 1990 wegen der Emission krebserregender Asbestfasern geschlossen, bevor anschließend zwischen 1998 und 2003 die Asbesteinbauten entfernt wurden. Anschließend erfolgte dann aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages von 2003 der Abriss, wofür allerdings nicht mehr vorrangig die Verwendung von Asbest ursächlich war.

Auch wenn nicht generell Asbest aus Gebäuden, wo er vor allem zur Wärmedämmung eingesetzt war, entfernt werden musste, wurde eine erhebliche Deponiekapazität für eine sachgerechte Entsorgung notwendig.

Gründe für die radikal veränderte Bewertung von Asbest waren medizinische Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen der Bearbeitung von Asbest und der Entstehung der Asbestose, einer speziellen Lungenerkrankung, sowie in einem deutlich erhöhten Krebsrisiko bei zwei Lokalisationen.

Diese Entdeckungen waren relativ schwierig, da zwischen der Exposition, also dem Kontakt vor allem mit Asbestfeinstäuben, die in die Lunge gelangen, und der späteren Diagnose der Krankheiten Latenzzeiten von 15 und mehr Jahren liegen können.

Nach einer weiteren Latenzzeit kann die Asbestose zu Lungenkrebs führen, sodass zwischen der ursprünglichen Exposition und dem Nachweis von Lungenkrebs Zeiträume zwischen 25 und 40 Jahren liegen können. Dabei ist zu beachten, dass das Lungenkrebsrisiko dramatisch steigt, wenn die Asbestexposition zusammen mit anderen Schadstoffen auftritt. So ist das Lungenkrebsrisiko für Raucher bei einer Asbestbelastung etwa zehn mal größer als bei Nichtrauchern.

Als weitere Krebserkrankung lässt sich die Ausbildung eines Pleuramesothelioms oder Mesothelioms, d.h. eines Bindegewebetumors vor allem des Brust- und Rippenfells, als Folge einer Asbestexposition nachweisen. Für diesen sehr aggressiven Tumor, bei dem etwa in der Hälfte aller Fälle Asbest als Ursache angenommen wird, liegt die mittlere Überlebenszeit nur zwischen 7 bis 16 Monaten, nachdem sich die ersten Symptome gezeigt haben.

Als diese Zusammenhänge trotz der langen Latenzzeiten als gesichert galten, wurde Asbest seit 1970 offiziell als karzinogen eingestuft und später die Verwendung von Asbest generell verboten. Dabei handelt es sich um ein Verwendungsverbot, aber kein Beseitigungsgebot, was beim Umgang mit Asbest immer wieder betont wird.
  


Der Sieg im Kampf gegen einen Asbesttransport Ende 2011


Dieses Asbestverbot von 1993 in Deutschland und 2005 in der gesamten EU traf nicht zuletzt die Hersteller von Produkten, die Asbest enthielten. Hierzu zählte das Fulgurit-Werk in Wunstorf-Luthe in der Region Hannover, das vor allem Faserzement produziert hatte. Bevor das Werk 2003 geschlossen wurde, waren dort in den glänzenden Asbestjahren bis zu 1.300 Mitarbeiter beschäftigt.


Am Standort blieb damals eine 20.000 qm große Halde mit 170.000 Tonnen Asbestschlämmen zurück. Zunächst sahen die Behörden in dieser Lagerung der Produktionsrückstände keine Gefahr, sondern veranlassten nur, dass die Halde vollständig mit Spritzmulch, d.h einer Mischung aus Boden, Mulch und Grassamen, abgedeckt werden musste, auf der Gebüsch wachsen konnte.

Erst 1995 unternahm der damals zuständige Landkreis Hannover eine Gefahrenabschätzung, bei der aber keine Asbestfreisetzung festgestellt wurde. Nachdem 2006 eine Spedition das Grundstück gekauft hatte, wurde ein Sanierungsbedarf erkennbar, als die Fläche der Asbestdeponie genutzt und bebaut werden sollte. Dabei favorisierte die jetzt zuständige Regionsverwaltung Hannover eine Abtragung und einen Abtransport der Asbestdeponie. So sollten die Asbestrückstände von Wunstorf-Luthe zur 20 km entfernten regionseigenen Deponie Hannover-Lahe transportieren werden, wo die Anwohner der dortigen Asbestlagerung sehr kritisch gegenüberstanden. 

Deshalb haben die benachbarte Gemeinde Isernhagen und Nachbarn Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss erhoben und Anträge auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

Der vorgesehen Mülltourismus wurde durch den 7. Senat  Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Beschlüssen vom 20. Februar 2009 untersagt, weil die Sicherung des Gefahrgutes während des Transports nicht gewährleistet war (7 MS 9/09).

Nach dieser Entscheidung, die auch noch später eine wichtige Rolle spielen sollte, dürfen die Abfälle zum Schutz vor Faserfreisetzungen nur in geschlossenen, staubdichten Behältern angeliefert und auf der Deponie nicht verkippt werden. Das war im Planfeststellungsbeschluss nur für etwa 5.000 Tonnen der Abfälle vorgesehen. Die übrigen ca. 135.000 Tonnen sollten hingegen in "loser Schüttung" auf Kippladern offen angeliefert und
auf der Deponie abgekippt werden. Die dabei vorgesehene Methode einer Abdeckung der Transportmulden mit Rollplanen und die Sicherung des Transportgutes gegen eine Austrocknung und gegen Asbestfaserfreisetzungen durch eine Schaumbedeckung hat das Oberverwaltungsgericht nach einer Interessenabwägung nicht gebilligt.

Obwohl für die Entscheidung des Gerichts die Gefahren beim Transport ausschlaggebend waren, sah die Region Hannover in einer anderen Form von Mülltourismus einen Ausweg, denn der Asbestmüll sollte jetzt auf die Deponien Ihlenberg in Mecklenburg-Vorpommern und Rondeshagen in Schleswig-Holstein transportiert werden.

Für die praktische Umsetzung sollten im Auftrage der ehemaligen Eigentümer eine Eichriede-Projekt GmbH und eine Fulgurit Holding GmbH als Partner eines Sanierungs- und Finanzierungsvertrages für eine Sanierung der Asbestzementschlammhalde auf dem Gelände der ehemaligen Fulgurit-Produktion in Wunstorf-Luthe sorgen. Allerdings wurde daneben auch die Region Hannover aktiv, da man offenbar der notwendigen Finanzkraft der Privaten nicht vertraute. Diese Einschätzung stellte sich auch schnell als berechtigt heraus, da Mitte Juli 2012 über das Vermögen der beiden Sanierungspartner eine vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wurde.

Zunächst vereinbarte die Eichriede-Projekt GmbH jedoch mit den Deponien in Ihlenberg und Rondeshagen den Transport des Asbestschlamms aus Wunstorf-Luthe in die beiden Küstenländer. Dabei wurde sie in den sehr ereignisreichen Novembertagen 2011 von mehreren öffentlichen Stellen wie dem Land Niedersachsen, der Region Hannover und der Stadt Wunstorf unterstützt, die mehr als das Zehnfache der Kosten übernehmen wollten, als sie von der Eichriede-Projekt GmbH verlangten.

Trotz dieser finanziellen Ausstattung scheiterte jedoch dieses Mülltourismusprojekt mit über 7.000 geplanten Lkw-Fahrten, das in Wunstorf für ein asbestfreies
Gewerbegebiet sorgen sollte. Das lag sowohl am politischen Widerstand in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein als auch an weiteren juristischen Stellungnahmen.

Als die beabsichtigte Verlagerung des Asbestmülls an die Küste bekannt wurde, setzen an den beiden Deponiestandorten heftige Proteste ein, an denen sich auch führende Politiker beteiligten. In der Folge lehnten die Landesregierungen in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern die Transporte ab. Dabei holte die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns hierzu ein Rechtsgutachten eingeholt, dessen Ergebnisse aber vom Niedersächsischen Sozialministerium nicht anerkannt wurden, was zu Konflikten zwischen den drei betroffenen Bundesländern und zwischen der Region Hannover und dem Bundesland Niedersachsen führte. Auch eine Klage gegen das Transportverbot vor dem Schleswig-holsteinischen Verwaltungsgericht wurde abgewiesen.

Inhaltlicher Kern der Argumentationen waren dabei die hohen Transportrisiken bei Asbest, da beim Transport von  Asbestschlamm nicht garantiert werden kann, dass nicht auch Asbeststaub freigesetzt wird. So formuliert  das schleswig-holsteinische Verwaltungsgericht: "Ein Freiwerden gefährlicher Mengen lungengängiger Fasern insbesondere beim Beladen und Entladen der Lastkraftwagen, oder  bei einem Unfall, kann nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen hier nicht ausgeschlossen werden, denn die Asbestbestandteile des Abfalls sind nicht durch Wasser/ Feuchtigkeit gebunden, das transportbedingte Gesundheitsgefahren ausgeschlossen sind."(Schleswig-holsteinisches Verwaltungsgericht (3 B 46/ 12)) 

Die beteiligten Gerichte sahen daher in einem Verbleib des Asbestschlamms in Wunstorf-Luthe ein erheblich geringeres Umweltrisiko als in dem Transport auf eine angebliche sichere Asbestdeponie in Hannver-Lahe oder über eine Strecke von mehr als 250 km Autobahn nach Ihlenberg oder Rondeshagen.  

Die Region Hannover verlangte trotz dieser Entscheidungen weiterhin von ihrem Vertragspartner, dass "das Material auf einer sicheren Deponie eingelagert wird" oder er "als Grundstückseigentümer seine Sanierungspflicht auf andere Weise" zu erfüllen hat.  




                NDR-Video "Kampf gegen Asbest-Transport" am 25.11.2011 (Quelle: youtube)


Der letzte Stand des Wunstorfer Asbestdramas, aus dem sich der ehemalige Grundstücksbesitzer praktisch verabschiedet hat, ist ein Beschluss der Hannoveraner Regionsversammlung von Ende Mai 2014, nach der der Asbestschlamm in Wunstorf-Luthe verbleiben und unter einer Schicht aus Sand, Kies und Kunststoffbahnen gesichert werde soll. Darüber wird Erde aufgeschüttet, auf der später Pflanzen wachsen können. Die Abdeckung soll auch langfristig verhindern, dass giftige Asbestfasern in die Umwelt gelangen. Zudem will die Region das Grundwasser dauerhaft auf ehemals im Boden gebundenes Arsen und andere Schadstoffe überprüfen.



Die IAG heute

Für die im Landesbesitz befindliche Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft mbH (IAG) war dieser Streit um die Einlagerung der niedersächsischen Asbestabfälle jedoch nur ein spannendes Intermezzo, das nicht zuletzt aufgrund seines Ausgangs keine Auswirkungen auf das Geschäft hatte. Es hat jedoch sehr konkret vor Augen geführt, mit welchen Mülleinlagerungen immer zu rechnen ist; denn es immer noch Platz, der sich auch weiterhin zusätzlich schaffen lässt.



                                               Titelseite der Imagebroschüre




So wirbt die IAG in ihrer Imagebroschüre mit einer hohen Lagerkapazität, die noch zur Verfügung steht, da 113 ha der insgesamt 165 ha großen Gesamtfläche frei sind. Damit gehört die Deponie Ihlenberg zu den größten ihrer Art in Europa, wie es heißt.

Nach diesen Angaben können täglich bis zu 4.000 t Abfall aufgenommen und in den "Deponiekörper eingebaut werden". Damit liegt die jährliche Aufnahmekapzität bei maximal 1 Mio. Kubikmeter. Das bedeutet bei einer aktuell noch vorhandenen Aufnahmekapazität von ca. 8 Mio. Kubikmeter eine weitere Betriebsdauer von knapp zehn Jahren.


Ziel des Managements der IAG ist eine "Weiterentwicklung" des Standortes Ihlenberg zu einem integrierten Abfallentsorgungs- und Energiezentrum, das "einen wesentlichen Beitrag zu einer hohen Entsorgungssicherheit des Landes Mecklenburg-Vorpommern und zunehmend auch der Bundesrepublik Deutschland" leistet.

Dabei verweist man auf zwei Vorteile eines erfolgreichen Betriebes der Deponie. Die IAG sichert so langfristig Arbeitsplätze am Wirtschaftsstandort Nordwestmecklenburg und erwirtschaftet die finanziellen Mittel, die für
"die Rekultivierung und Nachsorge zweckgebunden zurückgestellt" werden. Dadurch will man spätere Steuerzahler entlasten, die sonst nach der Schließung der Deponie für diese Maßnahmen aufkommen müssten.


Da Selmsdorf nicht zuletzt dank der IAG zu den wohlhabenden Gemeinden Mecklenburg-Vorpommerns zählt, sieht die Mehrheit des Gemeinderates inzwischen in der Deponie einen wichtigen Arbeitgeber und Steuerzahler. So erzielten die oppositionellen Grünen bei der Gemeinderatswahl 2014 nur 2,5 % der Stimmen, was nicht zu einem Sitz in der 12-köpfigen Gemeindevertretung reichte.

Einen Wendepunkt in der Haltung der Gemeinderats bildete die Abstimmung über eine Veränderungssperre Anfang 2013, als es keine Mehrheit für die Verlängerung einer bereits zweijährigen Veränderungssperre gab.

Zuvor  wollte der Gemeinderat die Aktivitäten der IAG durch einen Bebauungsplan regulieren. Als Vorbereitung dazu wurde eine Veränderungssperre beschlossen, die die IAG unmittelbar daran hinderte,  eine Klärschlammtrocknungsanlage zu bauen.


Die Klage zur Aufhebung einer Plangenehmigung



Blick auf die Deponie Ihlenberg (Quelle: Bürgerinitiative "Stoppt die Deponie Schönberg!")

Damit steht neben der Bürgerinitiative der NABU Mecklenburg-Vorpommern der IAG und einer Erweiterung und längeren Betriebsdauer ihrer Deponie in Selmsdorf kritisch gegenüber. Dabei verweist der NABU darauf, dass "bei den Betriebsgenehmigungen immer noch DDR-Recht angewandt" wird. Da deshalb weder eine Umweltverträglichkeitsprüfung noch eine Beteiligung der Öffentlichkeit einschließlich der Umweltverbände erfolgen müssen, sind die erfolgten Plangenehmigungen für den NABU "rechtswidrig."

Konkret geht es um Maßnahmen, durch die sich die vorhandene Fläche nutzen und die Betriebsdauer der Deponie verlängern lässt. Das ist für die IAG notwendig, wenn sie neue Deponieabschnitte erschließen will.  

Ein grundlegendes Problem ist dabei das Fehlen eines geregeten Genehmigungsverfahrens mit den notwendigen Prüfungen einer Eignung des Standorts. Hier scheint die Randlage in der Sperrzone ein zentrales Argument gewesen zu sein, während die sachlich gebotenen geologischen Untersuchungen eher zweitrangig gewesen zu sein scheinen. Offenbar wurde vieles in Ihlenberg damals unterlassen, da ein Oktroy des damals allmächtigen Politbüros vorlag. Fachliche Einwände hätten daher leicht als politische Kritik eingeordnet und geahndet werden können.


Wie beispielsweise auch beim Tanklager Farge wurden die ursprünglichen Genehmigungen in einem Rechtssystem erteilt, das mit dem heutigen in keiner Weise vergleichbar ist. Im einen Fall war es das NS-System, wo Maßnahmen der Kriegsvorbereitung wie der Bau eines unterirdischen Tanklagers streng geheim gehalten wurden, im anderen das DDR-System, wo die Errichtung offenbar nicht von den verfassungsmäßig zuständigen Gremien beschlossen, sondern direkt vom Politbüro der SED angeordnet wurde, um westliche Devisen zu beschaffen.

In beiden Fällen sieht die spätere Genehmigungspraxis diese Vorgaben als einen Bestand an, der schutzwürdig ist. Es werden daher keine Unterlagen verlangt, die dem heutigen Anforderungsstand entsprechen, sondern die bestehende Genehmigungspraxis wird fortgeschrieben.

Auf dieser brüchigen rechtlichen Basis hat im Januar 2014 das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt Westmecklenburg der Abfallentsorgungsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern eine Plangenehmigung erteilt, eine ca. 12,7 Hektar große Altablagerungsfläche der landeseigenen Sondermülldeponie Ihlenberg mit einer multifunktionalen Dichtung abzudecken. Auf großen Teilen dieser Abdeckung sollen, wie der NABU in seiner Klage annimmt, gefährliche Abfälle abgelagert werden. Das weiterreichende Ziel sieht der NABU dabei in der Inbetriebnahme neuer Deponieabschnitte.

Daher will jetzt der NABU Mecklenburg-Vorpommern durch seine Klage die Aufhebung dieser Plangenehmigung erreichen. Gleichzeitig stellt er die bisherige Genehmigungspraxis in Frage und fordert eine Umweltverträglichkeitsprüfung und eine Beteiligung der Öffentlichkeit, wie es heute bei ähnlichen Großprojekten nach dem geltenden Umweltrecht vorgeschrieben ist.


Strittig ist dabei die Funkion der Multifuktiionsabdichtung. Nach der Plangenehmigung ist sie erforderlich, um die gesetzlichen Anforderungen an die Dichtigkeit der Deponie zu gewährleisten und damit die Deponie weiter betreiben zu können. 

Damit dient die Multifunktionsabdichtung für den NABU nicht nur der geordneten Schließung bereits abgeschlossener Deponieabschnitte, sondern ermöglicht ganz im Gegenteil erst die weitere Ablagerung gefährlicher Abfälle.

Der zunächst sehr formal klingende Streit dreht sich damit im Prinzip um den Weiterbetrieb der Deponie, die von Teilen der Bevölkerung und des Gemeinderates als wichtiger Arbeitgeber geschätzt, von anderen hingegen als gesundheitliche Bedrohung erlebt wird. 

Nach den vor fünf Jahren durchgeführten Krebsanalysen hat sich die Opposition gegen die Sondermülldeponie vor allem auf den Kampf gegen die Anlieferung großer Mengen des Gefahrgutes Asbest ersteckt. 

Offenbar waren die Auswertungen der Daten der beiden Krebsregister ernüchternd, obwohl dieser Eindruck möglicherweise weitgehend auf dem methodischen Ansatz beruht. Eine gezielte Auswertung von Krebsregisterdaten für die Nachbarschaft der Deponie, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und damit auch größere und damit interpretierbare Fallzahlen benutzt, liegt jedenfalls bisher nicht vor.

Wenn man also Gewissheit über das Krebsrisiko im Bereich der Mülldeponie Ihlenberg haben will, sollte man sich nicht auf fragwürdige Daten beziehen, denen keine zuverlässigen Fallzahlen zugrundeliegen, sondern eine fachgerechte Auswertung der vorhandenen Krebsregisterdaten fordern. Trotz aller Unzulänglichkeiten auch dieses Materials haben derartige Studien den Vorteil, dass sie nicht die Abweichungen einzelner Messwerte von vorgegebenen Standards messen, sondern nicht mehr und nicht weniger als das tatsächliche Krebsrisiko.


Quellen:
Gemeinsames Krebsregister­­ der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und der Freistaaten Sachsen und Thüringen (Hg.), Kreisdatenblatt 2007-2009, Berlin 2012.

Hanisch, Dieter, Giftmüll bis an die Haustür, in: neues deutschland vom 22.4.2013.

Hoffmann, Wolfgang und Weiß, Stefan, Analyse der Krebsinzidenz/ -mortalität bei den Beschäftigten der Deponie Ihlenberg nach Arbeitsbereichen
, Greifswald 2009.

Kriener, Manfred, Das tödliche Wunder, in: Die Zeit vom 2. Februar 2009

Pritzkuleit, Ron und Katalinic, Alexander, Bericht zur Untersuchung der Krebshäufigkeit in der Hansestadt Lübeck im Zusammenhang mit der Mülldeponie Ihlenberg Krebsregister Schleswig-Holstein und Institut für Krebsepidemiologie e.V. an der Universität zu Lübeck, Lübeck, August 2009.

Region Hannover. Dezernat für Umwelt, Planen und Bauen (Hg), Informationen zur Sanierung der Fulgurit-Halde in Wunstorf-Luthe, Hannover, 09. Januar 2012.



Links

zu den angesprochenen Bürgerinitiativen und Umweltgruppen


Bürgerintiative stoppt die Deponie Schönberg e.V.


Bürgervereinigung gegen die Giftmülldeponie Rondeshagen-Groß Weeden e.V.

NABU Mecklenburg-Vorpommern