Montag, 6. Juli 2015

Krebsstudie Grauer Wall




Wie üblich: Auch am „Grauen Wall“ alles nicht signifikant


Oder: Was man nicht untersucht, kann auch keine gefährlich überhöhten Werte besitzen



Der Kontaminationsfall "Grauer Wall" ist nicht ausschließlich eine eher akademische Frage für das Krebsregister, das hier mit seinen Mitteln signifikante Belastungsergebnisse für das Umland gesucht und geprüft hat. Vielmehr kommt hier ein parteipolitischer Aspekt hinzu, da die möglichen Belastungen durch diese Deponie auch zum Wahlkampfthema wurden, als um die Mehrheitsverhältnisse in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung und in der Bremer Bürgerschaft gestritten wurde. Dabei lässt sich die aufgeladene Stimmung unter den Wählern, die sich durch die Deponie ganz in ihrer Nähe bedroht fühlen, sogar an dem Wahlergebnis für Speckenbüttel ablesen. Das blieb nicht ohne Folgen. An der Deponie "Grauer Wall" haben die neuen politischen Machtverhältnisse im Bremerhavener Rathaus zu raschen ersten Veränderungerungen geführt.



                                                   Krebsstudie zum "Grauen Wall"


Der politische Kampf um die Deponie "Grauer Wall"


Im Bremerhavener Ortsteil Speckenbüttel protestierten die Bürger seit einigen Jahren gegen die Giftmülldeponie, die ganz in der Nähe ihres Bürgerparks liegt, der sich als Wellnesspark entwickeln soll. Dieser Option für den Wohnwert ihres Wohnquartiers steht zumindest gefühlt das bestehende Müllgebirge entgegen, mit dessen Erhöhung in den nächste Jahren zu rechnen ist.

Da die rot-grünen Mehrheiten in Bremen und Bremerhaven kaum auf de Wünsche und Forderungen der Bürger eingegangen sind, wurde die Bürgerinitiative "Keine Erweiterung Grauer Wall (BIKEG)" am 8. März 2015 gegründet.

Vor der Bürgerschaftswahl am 10. Mai 2015 hatte die Bürgerinitiative Stellungnahmen der Parteien in Bremerhaven eingeholt, sodass die Wähler auf einer guten Informationsgrundlage ihre Wahl treffen konnten.

Dabei hatten sich die bestehenden alten Konfliktlinien erneut bestätigt: Aus der Perspektive von SPD und Grünen war für die Sicherheit der Bürger genug getan worden, eine Position, die vor allem der grüne Bremer Umweltsenator und der grüne Stadtverordnete für Umweltfragen besonders engagiert vertreten hatten.

Auf der anderen Seite hatte die CDU Forderungen der Bürgerinitiative zur Schadstoffmessung und zu einer kleinräumigen Krebsanalyse in Anträgen in der Stadtverordnetenversammlung aufgegriffen, die allerdings aufgrund der bestehenden Mehrheitsverhältnisse abgelehnt wurden.

Besondere Brisanz und Aktualität erhielt die Situation der Mülldeponie durch ihren geplanten Ausbau. Danach soll ihre Erweiterung im Rahmen eines am 8.5.2012 erlassenen Planfeststellungsbeschlusses erfolgen. Dadurch sollen eine Einlagerungshöhe von 52 m, nachdem es gegenwärtig mit 25 m über Normal Null nicht einmal die Hälfte ist, und eine Verlängerung der Laufzeit bis zum Jahr 2045 erlaubt sein.

Die Zusammensetzung der eingelagerten Abfälle ist weiterhin heterogen, indem darunter auch Stoffe wie Strahlmittelabfälle von Werften, Dämmmaterialien, Asbest und künstliche Mineralfasern in Big Bags, Gipskartonplatten, Bauschutt, Kesselaschen, Schlacken zur Abdeckung sowie Filterstäube und Filterkuchen aus der Müllverbrennungsanlage Bremerhaven zulässig sind. (TÜV Nord 2010).




                                                     Flugblatt der BIKEG


Der Analyseauftrag an das Krebsregister

Eine besondere Stellung bei der Prüfung von Belastungen durch mögliche karzinogene Stoffe, die unkontrolliert eingelagert wurden, besitzt die Forderung nach einer kleinräumigen Krebsanalyse. Dieser Wunsch der Bürgerinitiative wurde zunächst von der Regierungskoalition abgelehnt, da eine entsprechende kleinräumige Differenzierung der Inzidenzdaten angeblich nicht möglich sein sollte. 

Dieses Argument konnte zurückgewiesen werden, da dasselbe Krebsregister in Bremen sogar mit kleineren Untersuchungräumen arbeitet und eine Aufgliederung des Bremerhavener Stadtgebiets durchaus möglich ist, wie ein entsprechender Vorschlag im Internet beweist. Hier mussten Umwelt- und Gesundheitsbehörde eingestehen, dass kleinräumige Krebsanalyen auch für Bremenhaven möglich sind.

Wie in der jetzt veröffentlichten Studie berichtet, hat das Gesundheitsamt Bremerhaven bereits im November 2014 an den Bremer Senator für Gesundheit eine Anfrage gestellt, die Umgebung der Mülldeponie „Grauer Wall“ im Bremerhavener Ortsteil Speckenbüttel im Hinblick auf möglicherweise erhöhte Krebsraten zu untersuchen. Dabei wurde konkret um eine kleinräumige Auswertung der Krebsregisterdaten auf Ortsteilebene in der Umgebung der Deponie gebeten. 

Der Senator für Gesundheit hat die Anfrage an das Bremer Krebsregister weitergeleitet. Mit der Anfrage wurden vom Auftraggeber auch Informationen zur Hauptwindrichtung in Bremerhaven zur Verfügung gestellt. Dabei bleibt es offen, wie diese Daten verwendet werden sollten.

Zusätzlich zur Krebsstudie erfolgten ebenfalls durch den Umweltsenator und den Magistrat Bremerhavens 
 beantragte Sondermessungen zur Immission von Feinstaub und zum Staubniederschlag im städtischen Bereich sowie im Bereich der Deponie Grauer Wall. Die Durchführung dieser Kontrollmaßnahmen begann im Juli 2014 und war für die Dauer von 12 Monaten vorgesehen. 

An der Auswahl der Messpunkte hat die Verwaltung entsprechend einem Gutachten auch die BIKEG beteiligt. Diese Untersuchung erstreckte sich auf Feinstaub P10 (Arsen, Cadmium, Blei, Nickel, Zink, Kupfer, Benzo(a)pyren) sowie Staubniederschlag (Arsen, Cadmium, Blei, Nickel, Zink, Kupfer, an einzelnen Messorten auch Dioxine).

Nach den ausgewerteten Ergebnisse für das erste Quartal der Untersuchung zeigen sich für Feinstaub P10 keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Bereich der Deponie und dem städtischen Hintergrund in Bremerhaven. Es traten danach nicht einmal "Überschreitungen des zulässigen Jahres- oder Tagesgrenzwertes" auf". Nach diesen offiziellen Messungen liegen auch die Werte für die Metalle Arsen, Blei, Cadmium, Kupfer, Nickel und Zink sowie den Kohlenwserstoff Benzo(a)pyren deutlich unter den zulässigen Grenzwerten.




Die Abgrenzung der Untersuchungsregion

Obwohl die Auftraggeber und die Bürger das Krebsproblem der Deponie auf den Ortsteil Speckenbüttel eingrenzen, haben die Wissenschaftler in Bremen und Oldenburg in ihrer Studie das Untersuchungsgebiet erheblich ausgeweitet.

Ihre Begründung für diese Entscheidung lautet: "Aufgrund der geographischen Lage der Deponie Grauer Wall am nördlichen Stadtrand von Bremerhaven wurde in der vorliegenden Analyse nicht nur der hauptsächlich betroffene Bremerhavener Ortsteil Speckenbüttel als potentieller Gefährdungsbereich definiert, sondern auch die nordöstlich angrenzende, niedersächsische Stadt Langen." Aus diesem harmlos klingenden Satz kann man möglicherweise ableiten, dass im Krebsregister besonders sorgfältig gearbeitet wird und man sich sogar durch die Einbeziehung von Langen zusätzliche Arbeit macht, um möglichst noch weitere Kontaminationen im weiteren Umland zu entdecken und zu berücksichtigen. 

Das ist allerdings eine klare Fehleinschätzung, wenn man die analytischen Auswirkungen dieser Weichenstellung gleich zu Beginn der Untersuchung im Rückblick bewertet. Die Folgen werden daher noch ausführlicher dazustellen sein. 

Das gil auch für die angebliche "Beeinflussung der Transmission der möglichen Schadstoffe durch die Hauptwindrichtung (Südwest)", die nach der Studie für die Vergrößerung der Untersuchungsregion sprechen soll.





             Die Mülldeponie "Grauer Wall" im Ortsteil Speckenbüttel
Quelle: Krebsstudie, S. 2


Die Untersuchungsregion umfasst entsprechend diesen Vorgaben eine Bevölkerung von 21.654 Einwohnern, die sich auf den Ortsteil Speckenbüttel mit 3.138 Einwohnern und die Stadt Langen mit 18.516 Einwohnern verteilt. Um hier besonders exakt zu arbeiten, haben die Krebsforscher die durchschnittlichen Einwohnerzahlen für den Zeitraum 2006-2012 errechneten, da sie diese Jahre ebenfalls als Abgrenzung für die Krebsfälle gewählt haben.

Einen Eindruck von der Wahl einer Region aus einem keinen Bremerhavener Ortsteil und der ehemaligen Stadt Langen, die heute Teil des Landkreises Cuxhaven ist, erhält man durch das folgende Kreisdiagramm. Den Krebsforschern ist es gelungen, aus einem mit erhöhten Krebshäufigkeiten belasteten Bereich unmittelbar an der Deponie ein Forschungsgebiet zu verwandeln, das zu über 85 % aus der Stadt Langen besteht, in der die Deponie Grauer Wall bisher kein Gesundheitsproblem war.


Einwohner der Untersuchugsregion Speckenbüttel-Langen



                                               1: Langen und 2: Speckenbüttel


Um einen geeigneten Zeitrahmen für ihrer Untersuchung zu bestimmen, befassen sich die Gutachter mit dem Alter der Expositionsmöglichkeiten, also dem Alter der Deponie und den vermutlich dort eingelagerten Stoffen. Danach besteht die Deponie bereits seit Ende der 1950-er Jahre besteht und "seit Ende der 70-er Jahre (erfolgte) auch keine Änderung in der Art der eingelagerten Stoffe".

Daraus schließen sie, dass seit dem Beginn der Registrierung von Krebserkrankungen, die im Land Bremen 1998 begann, "keine Veränderung der Risikoeinschätzung" anzunehmen ist. Eine Betrachtung von mehreren Zeitintervallen ist für die Darstellung der Krebsinzidenz daher nicht erforderlich. 

Zwei weitere Vorentscheidungen für die Auswertung werden ganz ohne Begründung getroffen. Das gilt für den gewählten "Datenzeitraum 2006 - 2012"und den Verzicht auf eine differenzierte Auswertung etwa nach dem Geschlecht. Hier heißt es in der Studie nur apodiktisch: "Wegen der relativ geringen Bevölkerungsgröße in der Untersuchungsregion wird die Untersuchung nicht für Männer und Frauen getrennt durchgeführt."  


Diese Vorgaben, die sich nicht zwangsläufig aus dem Auftrag ableiten lassen, führen zur folgenden Nullhypothese, also der Forschungsfrage, die sich die Autoren beantworten wollen:


Die Anzahl der Neuerkrankungen in der zusammengefassten Region Speckenbüttel/ Langen ist für jede der drei untersuchten Krebsdiagnosegruppen kleiner oder gleich der erwarteten Fallzahl“.

Wenn man den bisherigen Gang der Diskussion verfolgt hat, scheint diese Hypothese kaum noch etwas mit der Frage der Bürgerinitiative und der Bürger in Speckenbüttel zu tun zu haben. Genauer gesagt betrifft sie zu 85 % die Stadt Langen und daher eine andere Thematik. Korrekt müsste sich die Hypothese ausschließlich auf die Kontaminationsregion Grauer Wall beziehen, für die nach den Voruntersuchungen der Bürgerinitiative der Ortsteil Speckenbüttel eine sinnvolle Untersuchungsregion sein dürfte.

Mithilfe der Daten des Krebsregisters werden drei Gruppen von Krebserkrankungen gebildet:

- alle Kebserkrankungen, d.h. Krebs insgesamt ohne nicht-melanotische Hauttumoren

- Krebs gesamt ohne Entitäten, für die Früherkennungsuntersuchungen angeboten werden, sowie

- Leukämien und Lymphome (L & L).

Da entsprechend der Situation in Speckenbüttel und auch generell in der Nähe anderer Giftmülldeponien Leukämien und Lymphome überzufällig auftreten, sind die folgenden Aussagen auf diese Entitäten konzentriert.
Für diese Fallgruppen weist die Studie jeweils die Zahl der beobachteten Fälle aus, für die zusätzlich eine Altersspezifische Inzidenzrate für jeweils 100.000 Einwohner berechnet wird.

Für das Krebsrisiko stellt die Standardisierte Inzidenzrate (SIR) die zentrale Grundlage dar. Hier ist die Fallzahl der Untersuchungsregion mit der in einer Vergleichsregion in Beziehung gesetzt. Dazu dienen hier das Land Bremen und der Regierungsbezirk Lüneburg.



Altersstandardisierte Inzidenzraten für L & L auf 100.000 Einwohner in den Regionen Speckenbüttel undd Speckenbüttel/Langen 2006-2012

Zeitraum
Beobach-tete Fälle
Erwartete Fälle
SIR
Speckenbüttel
Land
Bremen
Langen
Reg-Bezirk
Lüneburg
Speckenbüttel 2006-2012
16
13,6
1,17
36,9
32,3
-
-
2006-2012
16
12,3
1,31
36,9

-
32,8









Langen 2006-12
70
70,1
1,00
-

31,3
32,8









Speckenbüttel/ Langen
86
82,4
1,04


31,3
32,8
Krebsregister 2015, S. 7, 8 und 10.


Das Expertenurteil der Krebsregister in Bremen und Oldenburg

Wie bereits die Detailauswertungen erkennen ließen, konnte die Vergrößerung der betroffenen "Region Grauer Wall" durch eine Stadt, die noch weniger belastet als der Landkreis Lüneburg ist, nicht ohne Folgen bleiben. Daher wird es niemanden überraschen, wenn das Gutachten zu folgender zusammenfassenden Bewertung gelangt: "Die Krebsinzidenz in der untersuchten Region, bestehend aus dem Ortsteil Speckenbüttel und der Stadt Langen, weist sowohl bei der Einzelauswertung als auch in der Aggregation nur geringfügige Unterschiede in der Erkrankungshäufigkeit auf im Vergleich zu den Vergleichsregionen (Land Bremen und der Regierungsbezirk Lüneburg). Die beobachteten Unterschiede stellen keine statistisch signifikanten Unterschiede dar."


Enttäuschend für die Betroffenen dürften vor allem die Schlussfolgerungen für das zukünftige Verhalten sein, wenn die Gutachter hier nicht, wie es sonst eher die Regel ist, Folgeuntersuchungen oder spezielle Analysen empfehlen. Das muss hier besonders hart für die einen und oberflächlich für die anderen erscheinen, da mit geringen Fallzahlen und einem kurzen Untersuchungszeitraum gearbeitet wurde. Die Grenzen beider Festsetzungen wurden bekanntlich von den Autoren im Hinblick auf eine Differenzierung nach dem Geschlecht selbst eingeräumt.

Hier stellen die Wissenschaftler hingegen einige Wochen vor dem Termin der Wahl fest, in der es um die Zukunft der Auftraggeber in der Umwelt- und Gesundheitsbehörde geht: "Auf Grundlage der zur Zeit dem Krebsregister zur Verfügung stehenden Datenlage zu möglichen Expositionen im Bereich der Deponie sieht das Krebsregister aktuell keine Veranlassung, weiterführende Analysen für diese Region durchzuführen."




Eingesetzte Methoden und Forschungergebnisse


Diese Studie des Bremer Krebsregisters steht in einer Kette vergleichbarer Auswertungen, die sich auf drei kontaminierte Belastungsgebiete in der Stadt Bremen bezogen haben. Hierzu zählen Analysen der Untersuchungsregionen "Bremer Woll-Kämmerei, "Stahlwerke Bremen" und Tanklager Farge".

In der ersten Studie, die im Jahr 2004 veröffentlicht wurde, waren die Wissenschaftlerinnen des Krebsregister noch auf Neuerkrankungen aus einem einzigen Jahrgang eingeengt, da diese Daten im Land Bremen erst seit 2001 erhoben werden und das Meldeverfahren einen längeren Zeitraum erfordert. Dadurch setzte die geringe Fallzahl dem Nachweis signifikanter Zusammenhänge enge Grenzen, zumal aufgrund der langen Latenzzeiten fast allen Kontaminationsquellen und Expositionen nicht kurzfristig wirken. Falls hier Zusammenhänge bestehen, können damit bei fortgesetzten Kontakten und Expositionen durch die kontaminierten Stoffe und Meldungen über Krebsneuerkrankungen erwartet werden.

Der sichere Nachweise hat dann nur noch eine notwendige Voraussetzung, und zwar die Fallzahl. Dabei lässt sich das Untersuchungsgebiet nicht beliebig erweitern, da sich durch eine Vergrößerung um angrenzende Gebiete zwar die Fallzahl steigern lässt, aber nicht die Voraussetzungen für einen sauberen korrekten Signifikanztest verbessert werden. Man falsifiziert dann da Vorhandensein von Interdependenzen in einer Region, für die niemand ein erhöhtes Krebsrisiko behauptet hat. Den gangbaren Weg zu einer Vergrößerung der Fallzahl, die Einbeziehung weiterer Jahre, hat man hingegen nicht genutzt.

Diese Chance für eine notwendige Materialgrundlage, die erst in kleinen Regionen einen Zusammenhang zwischen der vorhandenen Kontaminationsquelle und einem erhöhten Erkrankungsrisiko als signifikant ausweist, haben die Wissenschaftlerinnen des Bremer Registers auch in ihrer letzten Vorgängerauswertung zur jetzigen Grauer-Wall-Untersuchung nicht genutzt. Hier beim Tanklager Farge wurden sogar die in der vorangegangenen Studie vorliegenden Daten nicht zur Erhöhung der Fallzahl hinzugezogen, obwohl sie aufgrund der Latenzzeiten von Krebserkrankungen und der fortbestehenden Lagerung vermutlich sehr ähnlicher Giftstoffe genau so "aktuell" sind, wie die Werte der letzten Jahre.

Allerdings muss man sich ohnehin fragen, was die Krebsforscher aus Bremen und Oldenburg unter einer kleiner Fallzahl in diesem Zusammenhang verstehen. Offenbar gibt es bei dieser Festsetzung nicht leicht nachvollziehbare Entscheidungen, wenn in Speckenbüttel 70 L&L-Fälle für eine nach dem Geschlecht differenzierende Analyse zu klein sind (S.4 ), in Bothel man jedoch mit nur 56 Neuerkrankungen arbeitet. (Bothel, S. 1)


Das Problem der kleinen Fallzahlen


Bei den Normen der Bremer Forscher wurden auch weitere Chancen vertan; denn das Bremer Krebsregister besitzt bereits Daten über Inzidenzen seit 1998. Damit könnte man den Untersuchungzeitraum ohne zusätzliche Primärerhebungen und damit auch die Fallzahl vermutlich verdoppeln. Es wäre daher ohne großen zusätzlichen Aufwand leicht möglich gewesen, über eine derartig erhöhte Zahl von Neuerkrankungen nach Unterschieden zwischen Frauen und Männern zu suchen. Gerade in einer medizinischen Studie ist das Geschlecht weiterhin ein wichtiges Merkmal, sodass eine entsprechende differenzierte Auswertung zum Standardrepertoire der Forschung zählt.

In diesem Fall hätte man das Material nach dem Erhebungszeitraum 1998 bzw. 2000 - 2006 sowie 2006 -2012 aufgliedern können, um mögliche Hinweise auf eine Entwicklung der Häufigkeiten von Erkrankungen zu gewinnen. Zusätzlich wäre eine Ermittlung der Standardisierten Inzidenzraten (SIR) für Männer und Frauen möglich gewesen, da in Bothel fast ausschließlich Männer von der hohen Belastung durch die dortige Kontamination betroffen sind (SIR = 1,93) (Bothel, S. 9. Fast man Männer und Frauen zusammen, verblasst der Effekt hingegen, da Frauen unterdurchschnittlich betroffen sind. (SIR = 0,89) (Bothel, S. 9)


Der hilfreiche Wind


Die Wissenschafter aus Bremen und Oldenburg gehen hingegen in ihrer Speckbüttel-Langen-Studie einen ganz anderen Weg. Offensichtlich unterstellen sie, dass sich die Kontamination vom Grauen Wall mit dem Wind über größere Strecken ausbreitet. Dafür gibt es allerdings keinen Beleg. Nicht einmal die kritische BIKEG oder Langener Bürger haben einen derartigen Vorwurf erhoben. Auch bei einem Blick auf die Messergebnisse für Blei, die von der BIKEG zusammengestellt und auf ihrem Flugblatt veröffentlicht wurden, findet man alle hohen Werte in Speckenbüttel östlich der Deponie.

Das hat die Gutacher jedoch nicht davon abgehalten, ihren Ansatz weiter zu verfolgen. Sie haben auch Langen als "potentiellen Gefährdungsbereich definiert".

Eine spätere Prüfung und Korrektur dieser ersten Entscheidung fehlt jedoch, obwohl es keinen Beweis für eine Gefährdung in Langen gibt. Nach den Zahlen kann in Langen von einem erhöhten Risiko keine Rede sein, die Stadt würde sich eher als Wohnsitz für die bisher dauerbelasteten Anwohner der Deponie eignen.

Vielmehr will man offenbar mit der Bildung der Region Speckenbüttel-Langen ausschließlich das eindrucksvolle Bild einer verwässerten Krebsregion nutzen, in der die überhöhten und bedrohlich scheinenden Neuerkrankungen durch die praktisch unbelastete erheblich größere Stadt Langen die vorhandenen Kontamination sehr kräftig überlagert. Ein SIR-Wert von 1,01 in der Krebsregion, der am Ende der Analyse steht und daher vermutlich von den Gutachtern als besonders geeignetes "Endergebnis" angesehen wird, erscheint als eine Entwarnung, die offenbar von den Gutachtern deswegen entsprechend in der Studie platziert wurde. Dieser Eindruck ist allerdings irreführend, da dieser Wert keine Folge der tatsächlichen Gefahrenlage ist, sondern das Ergebnis einer fehlerhaften Regionsabgrenzung.
Betrachtet man die Daten in der Tabelle, erscheint die Einbeziehung der Stadt Langen in Niedersachsen nicht mehr als eine sachlich dringend gebotene Notwendigkeit, sondern als eine Paradebeispiel für einen Verwässerungseffekt. So besitzt Langen selbst exakt eine Standardisierte Inzidenzrate von 1,00, die Zahl der Neuerkrankungen an L&L liegt damit leicht unter dem Wert für das niedersächsischen Umland, für das die Daten des Regierungsbezirks Lüneburg stehen.

Die Verwässerung zeigt sich idealtypisch für die Region Langen-Speckenbüttel. Hier kommt die Studie quasi als "Endergebnis" zu einer stark entwarnenden SIR =1,04, während der Wert für den Ortsteil Speckenbüttel allein eher besorgniserregende SIR = 1,31 beträgt.



Die Verwässerungstechnik



In diese Studie scheint eine Geisterhand die Stadt Langen hinzugefügt zu haben. Offenbar hat sich dort niemand über eine Häufung von Krebsfällen beschwert oder auf einem anderen Weg gesundheitliche Folgen der Deponie "Grauer Wall" problematisiert zu haben. Vielmehr gibt es eine Reihe von Messwerten, die von der BIKEG gesammelt und in Auftrag gegeben wurden. Diese Messungen mit kritischen Werten liegen alle östlich der Deponie, jedoch nicht in Langen.

Offensichtlich sind die Krebsforscher hier der Meinung, dass die Ergebnisse einer Modellrechnung, die sie mithilfe von Winddaten durchgeführt haben, gültigere und verlässlichere Prognosedaten liefert als diese empirisch gewonnenen Fakten. 
Wie aus den Zahlen eindeutig hervorgeht, sind die Einwohner der Stadt Langen von möglichen Kontaminationen der Giftmülldeponie nicht betroffen, zumindest dann nicht, wenn man sich auf Krebserkrankungen konzentriert.

Die Beharrlichkeit, die hier bei der Verfolgung der Spur eingesetzt wird, ist zumindest beeindruckend, wenn es sich denn um einen richtigen Ansatz handelt. Nur fehlt hier das Erfolgserlebnis, da es keinen Sinn macht, Langen zu einer ernst gemeinten "Krebsregion" zu rechnen.
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Die fehlende Differenzierung nach dem Geschlecht oder das Bothel-Phänomen


Obwohl das Team aus Bremen und Oldenburg durch die Aggregation der Daten von Speckenbüttel und Langen die Fallzahl deutlich von 16 auf 76 erhöht hat, fehlt eine Differenzierung dieser Fälle nach dem Geschlecht, was in der Regel für Krebsanalysen untypisch ist. Das sollte vor allem dann gelten, wenn kurze Zeit vorher im benachbarten Kreis Rotenburg Vertreter desselben niedersächsischen Krebsregisters durch die Entdeckung sehr erheblicher Geschlechtsunterschiede in einer ähnlichen Untersuchung überrascht wurde.

Diese für Männer alarmierenden Werte habe dort sogar die Politik auf den Plan gerufen, wodurch man sich Gedanken über Einschränkungen bei einigen Methoden der Erdgasförderung macht.  

Diese Auswertung mit einer harten "politischen" Aussage fehlt für Speckenbüttel. Zunächst wurde das mit der geringen Anzahl von 16 Fällen von L&L begründet, was man im Hinblick auf den ausgewählten kurzen Untersuchungszeitraum vertreten kann. Allerdings wird diese Möglichkeit einer geschlechtsspezifschen Auswertung für die erheblich größere Region Speckenbüttel-Langen gar nicht angesprochen. Man kann dadurch leicht den Eindruck gewinnen, dass diese Großregion wegen des Verwässerungseffekts gebildet wurde, aber nicht als Möglichkeit, um differenziertere Auswertungen vorzunehmen.


Ganz ohne Wissenschft: Die Veröffentlichungspolitik


                                                            BIKEG-Flugblatt



Ganz ohne Wissenschft: Die Veröffentlichungspolitik


Wie bereits in einer Reihe ähnlicher Untersuchungen fällt auch hier der große zeitliche Abstand zwischen zwei Zeitpunkten auf. Zur Abgabe der Studie an den Auftraggeber und zum Abschluss ihrer fachlichen Bearbeitung wird auf dem Titelblatt "März 2015" genannt. Das erscheint auch als durchaus plausible, dass keine Daten einbezogen wurden, die nicht bereits im Register gespeichert waren. Im Prinzip handelt es sich damit um eine Abfrage von Registerdaten.

Wenn man die Studie damit auf ihren Datenkern reduziert, handelt es sich um eine fachliche Interpretation von Daten, die im Bremer Krebsregister bereits für einen Ortsteil Bremerhavens und ausgewählte Jahrgänge vorlagen. Hinzu kam eine Aufgliederung nach einer Reihe von Kategorien von Krebserkrankungen.
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Das Zwischenzeugnis vom 10. Mai 2015

Dies Kontroverse um die Deponie machte den Ausgang der Wahlen zur Bremer Bürgerschaft und zur Bremerhavener Stadtverordnetenversammung am 10. Mai 2015 besonders spannend. Schließlich lagen Verluste der SPD und der Grünen zulasten der Parteien CDU, FDP und der Linken, die sich noch in einer Befragung der BIKEG für weitere Schadstoffmessungen und eine Schließung der Deponie ausgesprochen hatten. 

Neben der BIKEG haben sich auch die Parteien im parlamentrischen Raum füü zustzlichen Schadstoffmessungen, eine Auswertun des Krensregisters und sogar eine Schlißung der Deponie gefordet. Zu iesen Inititiven zählt, wenn man mit dem Jahresbeginn 2015 startet, eine Kleine Anfrage der Linken 
Bürgergespräche im März 2015, durch die deer Umweltsenator die aufgeheizte Atmosphre  wollte, brach der grüne Spitzenpolitiker
Pressemitteilungen vom 20.03.2015:
Kein Giftmüll auf den Grauwall
Bremerhaven. Der Bremerhavener Spitzenkandidat der FDP für die Bremische Bürgerschaft, Prof. Dr. Hauke Hilz, kritisiert Umweltsenator Lohse (Grüne) scharf: „Dass Umweltsenator Lohse jetzt die Gespräche mit den Bürgerinnen und Bürgern abgebrochen hat, ist ein Armutszeugnis. Natürlich wollen die Menschen keinen Giftmüll neben ihren Häusern weiter dulden – und zwar zurecht.“ Der Freie Demokrat fordert seit langem ein Ende der Giftmüll-Deponie in Bremerhaven.
  „Die
Deponie gehört nicht erweitert, sondern es muss endlich Schluss mit der Einlagerung von Giftmüll auf dem Grauwall sein. Giftstoffe müssen für Mensch, Tier und Natur ungefährlich entsorgt werden – nicht direkt neben
Wohnsiedlung und Wellnesspark“, so Hilz.


http://www.fdp-bremerhaven.de/presse.php?id=43481&presse_y=2015


Bürgrschaftswahl in Speckenbüttel 2011-15 (Angaben in %)

Parteien
Bremerhaven
2015
Differenz
2011-5
Speckenbüttel
2015
Differenz
2011-5
Wahlbeteiligung
40,5
-7,6
62,0
-6,4
SPD
34,0
-0,3
28,7
-0,4
Grüne
11,2
-10,6
10,4
-16,5
CDU
23,8
3,8
31,2
3,6
Linke
7,0
2,4
5,8
3,2
FDP
5,5
2,4
11,1
5,9
AfD
5,0
5,0
3,9
3,9
BiW
6,5
-0,6
4,3
0,2
PARTEI
1,8
1,8
1,8
1,8
http://www.blumenthal-zeitung.blogspot.de/2015/05/neu-wahl-2015-bremerhaven.html

Die Anteilsgewinne und - verluste der Parteien (vgl. z.B. das Schaubild) zeigen die erheblichen Unterschiede im Wählerverhalten zwischen 2011 und 2015 auf. Hauptverlierer in Speckenbttel, das zu den Ortsteilen mit den heftigsten Stimmenausschlägen zählt, sind die Grünen, die sich in der Deponiefragen durch ihren Bremer Senator und den Bremerhavener Sprecher für Umweltfragen in der Stadtverordnetenversammlung besonders exponiert hatten. In der Sicht von BIKG und CDU hatten sie dort sogar gegen die Schadstoffmessungen und die Krebsstudie votiert.

Fast alle Oppositionsparteien konnten von den hohen Verlusten mehr oder wenger deutlich profitieren.


Anteilsgewinne und -verluste der Parteien in Speckenbüttel in der Bürgerschftswahl 2015 in Speckenbüttel 2015
                    Wahlergebnis in Speckenbüttel am 10.Mai 2015 (Quelle: Wahlatlas)
(1: SPD, 2: Grüne, 3: CDU,4: Linke, 5: FDP, 6: AfD, 7: BiW,8: PARTEI)


Vor der Wahl und nach der Wahl


Speckenbttel ist zwar nur ein kleiner Ortsteil Bremerhavens, aber auch er hat mit den Verlusten von Rot-Grün und dem extrem Verlust der Grünen in diesem eher bürgerlich geprägten Stadtviertel zum Machtwechsel im Bremerhavener Rathaus beigetragen.
Damit konnten die Karten neu gemischt werden, was zu deutlichen Erfolgen für die Anwohner und die Mitglieder von BIKEG führte.

Zwar wird zumindest vorerst die Deponie nicht geschlossen, aber es gibt eine neue Beteiligungskultur für die Anwohner, die zudem durch den Koalitionsvertrrag abgesichert ist.

Auf der Mülldeponie "Grauer Wall" in Bremerhaven sollen künftig kein gesundheitsgefährdender Filterstaub und kein Asbest mehr eingelagert werden. An der Überwachung dieses Verbots soll sich sogar jeder Bewohner beteiligen können, da der Betrieb der Deponie demnächst im Internet verfolgt werden kann.
So sollen jetzt alle Bürger durch Kameras auf dem Deponiegelände, deren Bilder ins Internet gestellt werden, über das dortige Geschehen und vor allem die Einlagerungen visuell informieren können. Zudem wurden im Koalitionspapier weitere Schadstoffmessungen vereinbart.

Zusätzlich haben SPD und CDU noch die Gründung eines Deponiebeirats vereinbart, über dessen Rechte und Mitlieder noch nichts bekannt wurde. Es soll jedoch Bürger vorgesehen sein. Hier wird man also warten müssen, um die Kooperationsmöglickeiten von Bürgern und BIKEG-Mitgliedern kennenzulernen. 

Möglicherweise kann auch die Krebsstudie, die laut Text im März 2015 abgeschlossen war, dann aber erstmals Ende Juni 2015 durch Radio Bremen der Öffentlichkeit bekannt wurde, ein Thema sein. Hier kann man sich schon fragen, warum diese Zahlen offenbar nicht den Wahlberechtigten in Bremerhaven und Bremen vor der Wahl bekannt sein sollten. Ging es dabei nur die Widerlegung der Behauptung, dass kleinräumige Untersuchungen in Bremerhaven nicht möglich 



 Quellen:

Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN) (Hg.), Auswertung des EKN zur Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen in der Samtgemeinde Bothel, Oldenburg, September 2014.


Luttmann, Sabine, Eberle, Andrea und Kieschke, Joachim, Kleinräumige Analyse zur Krebsinzidenz in der Region um die Deponie „Grauer Wall“ in Bremerhaven, Bremen, März 2015.